Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.12.2019, X B 40/19, veröffentlicht am 16.01.2020; ECLI:DE:BFH:2019:B.111219.XB40.19.0
Anders als ein Zivilgericht hat das Finanzgericht im Rechtsstreit mit dem Finanzamt den streitigen Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§76 Abs. 1 S. 1 FGO). Die Aufklärungspflicht bezieht sich regelmäßig auf alle entscheidungserheblichen Tatsachen im Finanzprozess. Das Gericht hat den Sachverhalt so vollständig wie möglich aufzuklären (BFH, Urteil vom 19.06.1997, V R 54/96, BFH/NV 1998,174), insbesondere wenn sich nach den Gesamtumständen des Falles Fragen zum Sachverhalt aufdrängen. Auf die Erhebung eines von einem Beteiligten bezeichneten Beweismittels darf im Regelfall nur verzichtet werden, wenn das Gericht die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsache zugunsten der betreffenden Partei unterstellt, das Beweismittel nicht erreichbar oder die Tatsache rechtsunerheblich ist (BFH, Urteil vom 19. September 1985, VII R 164/84, BFH/NV 1986, 674).
Im vorliegenden Fall wollte der Kläger die Feststellung von Verlusten aus Wertpapierverkäufen erreichen, legte aber keine Belege dafür vor. Das Finanzgericht hatte mehrfach Fristen gesetzt, die fruchtlos verstrichen waren, und gedroht, den Klägervortrag wegen Verspätung nicht mehr zu berücksichtigen. Als der Kläger dem Gericht dann in der mündlichen Verhandlung Belege und eine aktualisierte Steuererklärung überreichen wollte, verweigerte das Gericht die Entgegennahme, verwies darauf, dass es die neu vorgebrachten Tatsachen nicht mehr zu berücksichtigen brauche (Präklusion gemäß § 79b Abs. 3 AO) und wies die Klage ab.
Diese Auffassung teilt der BFH nicht: Der BFH hob das Urteil wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Sachaufklärungspflicht des Gericht auf und verwies den Fall zur erneuten Entscheidung zurück. Denn nach Auffassung des BFH berechtige § 79b Abs. 3 FGO das Gericht auch nach dem Ablauf einer wirksam gesetzten Ausschlussfrist nicht dazu, verspätet vorgelegte Unterlagen nicht einmal entgegenzunehmen. Ohne eine wenigstens kursorische Würdigung verspätet abgegebener Erklärungen bzw. eine wenigstens kursorische Durchsicht verspätet vorgelegter Unterlagen – so der BFH – werde das FG regelmäßig nicht in der Lage sein, zu beurteilen, ob die verspätete Vorlage die Erledigung des Rechtsstreits verzögert. Denn es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass aufgrund erstmals vorgelegter Unterlagen –ob verspätet oder nicht– bestimmte Tatsachen unstreitig werden.
Die Entscheidung zeigt, dass es sich gerade in Finanzprozessen mit komplexen und schwierigen Sachverhalten lohnt, das Finanzgericht an seine Sachaufklärungspflicht zu erinnern und so auf eine unvoreingenommene Würdigung des gesamten Streitstoffs hinzuwirken. Der nunmehr vorliegende Beschluss des BFH bietet dafür und für die Begründung von Nichtzulassungsbeschwerden eine wertvolle Argumentationshilfe.